Oktober 1915. Auf dem heutigen “Karst von Gorizia” treten sich zwei Heere
zur Eroberung eines damals besonders strategischen Gebiets gegenüber:
Das italienische Heer, tapfer und schlecht ausgerüstet, und das österreichisch-ungarische
Heer, Verteidiger eines Reichs, das inzwischen kurz vor der Auflösung
stand. Hier auf dieser unfruchtbaren und dennoch farbenprächtigen Hochebene
hat die Geschichte ihren natürlichen Schauplatz, ein “Kriegstheater”,
wodurch das gesamte Gebiet zu einer blutigen Steinwüste wird und das
auch heute noch für die Einheimischen Synonym für Pietät und
Gedenken ist.
Es ist kein Zufall, dass unmittelbar nach Kriegsende das Tal des Isonzo zum Ziel von nicht alltäglichen Touristen wurde: es sind die Veteranen beider Fronten, die wahre Wallfahrten an die Orte unternehmen, an denen sie sich von 1915 bis 1917 in blutigen Schlachten gegenüberstanden. Gleichzeitig begannen die bekanntesten Verläge von Reiseführern eine umfangreiche Anzahl von Vademekum zu drucken, die zum Verständnis dieses bedeutenden, allen europäischen Völkern gemeinsamen Phänomens beiträgt.
Den Veteranen und ihren Familien folgten später die nachfolgenden Generationen, die zufälligen Besucher und die der Anhänger des militärischen Fremdenverkehrs, oftmals wahre Globetrotter der Schlachtfelder in ganz Europa (von Waterloo bis zur Normandie). Zahlreiche Orte entlang der Grenze rufen großes Interesse hervor, einige sind erst seit 1991 zugänglich, und stellen wahre Ikonen des Großen Krieges dar.
Entlang dem Isonzofront, (das Gebiet vom Monte Nero bis zur Mündung von
Punta Sdobba) empfiehlt sich als Ausgangspunkt der Monte Sabotino, der auf
ganzer Länge unzählige Galerien, Schützengräben, natürliche
Monumente und Zeugnisse aufweist, die auch den informiertesten Besucher überraschen,
faszinieren und erschüttern. Hier ist die Zeit stehengeblieben, herrscht
das unheilvolle Schweigen der Schlachtfelder, in einer natürlichen Umgebung
von bemerkenswerter wilder Schönheit, die nur durch die in den Stein
geschlagenen Befestigungen in den Hintergrund rückt. Beim Anblick der
unfruchtbaren Wege entlang des Kamms des Sabotino fällt es schwer zu
glauben, dass Tausende von Männern sprichwörtlich an die felsigen
Ausläufer steil über dem Isonzo geklammert um die wenigen Quadratmeter
der letzten Ecke des Karstes gekämpft haben.
Von hier aus schlängelt sich längs des gesamten Tals der Collio goriziano (der auf der slowenischen Seite den Namen Goris¡ka Brda trägt), ein wenige Quadratkilometer großer Landstrich, der weltweit durch seine qualitativ hochwertigen Weine bekannt ist und zwischen 1915 und 1916 Schauplatz von tragischen und überaus blutigen Kämpfen war. Kämpfe, die unter anderem durch die berühmten Berichte von der Front von Alice Schalek in Erinnerung bleiben. Wir befinden uns im toten Land von Oslavia, das für die Schalek ebenso wie die Männer getötet wurde, und das heute den Eindruck von anmutiger Ruhe vermittelt, die nur durch den gewaltigen Hauptturm des Beinhauses unterbrochen wird. In diesem Gebiet, nur wenige Schritte vom “Eisernen Vorhang”, der für ein halbes Jahrhundert Westen und Osteuropa getrennt hat, scheinen die fast sechzigtausend Gefallenen und die wenigen Überreste in den kläglichen Regimentsfriedhöfen, die in den 30er Jahren nicht aufgelöst wurden, mit ihrem Schweigen daran erinnern zu wollen, wie zerbrechlich und daher unverzichtbar das friedvolle Zusammenleben zwischen den Völkern ist. Ein Bewusstsein, das hier stets auch eine Kehrseite aufwies: einerseits die Zusammenarbeit, der grenzüberschreitende Handel, der wirtschaftliche und kulturelle Austausch (in den dunklen 70er Jahren sagte man, Gorizia sei die offenste Grenze Europas), und andererseits das Misstrauen, die Zurückhaltung gegenüber einer slawischen Welt, die zu unterschiedlich und zu unbekannt war, um bedenkenlos akzeptiert werden zu können. Wenn Slowenien 2004 der Europäischen Gemeinschaft beitritt und nach einigen Jahren auch die Grenze zwischen den beiden Staaten aufgehoben sein wird, verlieren sich auch diese Ängste, zugunsten eines weiteren Monuments, eines weiteren Sinnbilds der Vergangenheit.
Das Thema der Teilung wird auch kontinuierlich vom Aushängeschild des
Fremdenverkehrsangebots des Isontino, dem Museum des Großen Krieges
in Borgo Castello in Gorizia wiederaufgenommen. Seit 1990 ist es das größte
Museum der Provinz und Nachfolger des Museums der Erlösung, das zwischen
1924 und 1983 seinen Sitz im Palazzo Attems hatte, und regt zur Überlegung
an, da es eine unvoreingenommene Darlegung der Tatsachen bietet, von der zweifellos
eine Friedensnachricht ausgeht. Es handelt sich um ein fortschrittliches Lehrzentrum,
dessen Einrichtung sich stets durch neue Inhalte und Lösungen bereichert
hat, so dass 1999 anlässlich des 50. Jahrstags seiner Gründung auch
ein Saal eingerichtet wurde, der der Gebirgsdivision Julia gewidmet ist. Heute
bietet es sich daher als Hauptbezugspunkt für alle Studienaktivitäten
zum Thema “Erster Weltkrieg” an, wobei die Aspekte des Sammlertums effizient
mit den Themen historiografischer Analyse und Introspektion verbunden werden,
deren wesentlicher Zweck es ist, die einzige Frage, die sich spontan den Besuchern
aller Schlachtfelder stellt zu beantworten: warum?
Von Gorizia, das demnächst auch die deutlich sichtbaren Spuren der an
den Ort angrenzenden Gebiete sorgfältig auswerten wird (der Calvario-Podgora
bietet sich für ein eindrucksvolles Museum im Freien an), erreicht man
bequem den Karst, diese steinerne von Scipio Slataper besungene Ebene, der
als Kriegsfreiwilliger gerade am nahen Calvario fiel. Der Karst, Grab einer
ganzen Generation von Italienern, Ungarn, Slowenen, Österreichern, Böhmen
und Rumänen, ist heute Gegenstand mehrer Projekte zur Fremdenverkehrsförderung,
die – zumindest in einigen Fällen, wie am Hermada – eine Herausforderung
für den Ausbau des integrierten und grenzüberschreitenden Fremdenverkehrs
darstellen. Hier fanden die “zwölf Schlachten des Isonzo” statt, die
am 8. August 1916 zur Eroberung von Gorizia durch das italienische Heer führten.
Und hier finden sich auch heute noch entlang der Pfade, inmitten einer ebenso
kahlen, wie farbenfrohen Vegetation im Herbst, zahlreiche Monumente und Museen
zur Erinnerung des Opfers von Sacrario di Redipuglia, “Friedhof der Opfer
der dritten Streitmacht”.
Das 1938 errichtete Nationaldenkmal gilt der Erinnerung der über hunderttausend Gefallenen, die in den zweiundzwanzig Stufen der weißen Treppe Ruhe finden. Ein übernatürliches Schauspiel, dessen Aussicht den Blick des Besuchers zum Himmel begleitet, bevor er auf die drei Bronzekreuze am Ende dieser unvorstellbaren “Treppe zum Paradies” trifft. Am Anfang des immensen Monumentalgebiets am Hang des Monte Sei Busi befindet sich in der Mitte einer großen Einebnung das Grab des Grafen von Aosta, Befehlshaber der dritten Streitmacht, neben seinen Generälen. Hier feiert jedes Jahr am 4. November die Italienische Republik mit den hohen Amtsinhabern des Staats nicht nur das Fest der Streitkräfte, sondern vor allem das Gedenken an alle Gefallenen, die am Karst eine der blutigsten Seiten der Geschichte des XX. Jahrhunderts schrieben.
Der Monolith befindet sich fast am Fuße des Bergs, an der die gewellte
Ebene zum Colle Sant’Elia ansteigt, der bereits Militärfriedhof ist und
an dessen Fuß das Museum der Gedenkstätte eingerichtet ist, das
vom Italienischen Heer verwaltet wird und reich an historischen Funden im
Zusammenhang mit dem Großen Krieg ist. Beim Erklimmen der Treppe, die
von Zypressen und sechsunddreißig Säulenstümpfen aus Stein
und ebenso vielen historischen Erinnerungen gesäumt ist, sind die zahlreichen
Wege nicht zu übersehen, die zu den Orten mit Kriegszeugnissen führen:
Schützengräben, Aufstellungen und Laufgräben des österreichisch-ungarischen
Heeres, die dann vom italienischen Heer erobert wurden. Auf dem Gipfel des
Hügels befindet sich die große Säule zum Gedenken an alle
Kriege, genau vor den drei großen Kreuzen, die oberhalb der Gedenkstätte
errichtet wurden. Unterhalb davon bewahren eine Gedächtniskapelle und
einige Räume die persönlichen Gegenstände einiger der Gefallenen
auf.
In geringer Entfernung in Richtung Gorizia trifft man auf den österreichisch-ungarischen Friedhof von Fogliano, auf dem die Überreste von vierzehntausend Gefallenen ruhen und der auch heute noch jedes Jahr das Ziel zahlreicher Pilgerer vor allem aus den mitteleuropäischen Ländern ist.
Die Festung Hermada, sagte man, aber auch das Labyrinth des Monte San Michele oder die offensichtliche Verheerung der Hochebene von Comeno (Komen), auf der jede Doline einen Namen hat und in deren Höhlen man greifbare Zeugnisse des Lebens (und der Agonie) von Millionen von Männern findet. Orte, die mit Pietät und Bewunderung zu erforschen sind, Gefühle, die der Große Krieg an der Front des Isonzo zwangsläufig erweckt.